Vorbemerkung
Spätestens mit dem Aufkommen der industriellen Fertigung
Anfang des 20. Jahrhunderts und der heutzutage fortschreitenden Globalisierung
wurde es unumgänglich, Erzeugnisse, Verfahren und Systeme nach einheitlichen
Gesichtspunkten zu gestalten. Dies erforderte und erfordert weiterhin einen
wachsenden Grad an weltweiter Standardisierung, ohne die z.B. die Einführung
und der Betrieb moderner Medientechnologien undenkbar wären. In diesem Zusammenhang
waren und sind führende Forschungseinrichtungen (darunter BBC, IRT und
Fraunhofer-Gesellschaft wie auch das seinerzeitige RFZ sowie später
entsprechende Forschungseinrichtungen der Deutschen Telekom), neben Entwicklungsabteilungen
internationaler Konzerne (z.B. BOSCH, PHILIPS, SIEMENS, DOLBY), seit vielen
Jahren in nationalen und internationalen Standardisierungsgremien tätig, um rechtzeitig
neue und verbesserte Standards und Normen zu schaffen und abzustimmen, und um den
weltweiten Austausch neuer Erzeugnisse sicherzustellen.
Der Autor war viele Jahre in verschiedenen nationalen und
internationalen Standardisierungsgremien aktiv, wie nachstehend erläutert ist.
1. Vom
DIN
zur TGL
DIN-Normen (ursprünglich „Deutsche Industrie-Norm“, heute
Dokument des „Deutschen Institutes für Normung“) gibt es seit etwa 100 Jahren in
Deutschland, sie regeln Eigenschaften technischer und anderer Erzeugnisse,
Verfahren oder Begrifflichkeiten im gesamten Bereich von Industrie,
Wissenschaft und Technik. Nach 1950 wurden sie im Bereich der DDR durch die
sog. TGL (Technische Normen, Gütevorschriften und Lieferbedingungen) ersetzt
oder ergänzt.
Im Zuge der Entwicklung und Einführung der Zweikanal-Stereofonie
wurde es notwendig, einen Terminologie-Standard für Begriffe der Stereofonie zu
entwickeln, um der Verbreitung zahlreicher Synonyme und Slang-Begriffe in der
Praxis Einhalt zu gebieten. Der Inhalt der hierzu geschaffenen TGL 200-0055 wurde
maßgeblich vom RFZ bestimmt (W. Hoeg, L. Keibs, R. Reichl, G. Steinke) [TGL1].
Darüber hinaus erfolgten Zuarbeiten zu diversen sog.
Fachbereichsstandards des Funkwesens.
2. OIRT (Organisation Internationale de
Radiodiffusion et Television)
Bereits in
den späten 20er Jahren wurde die Notwendigkeit einer übernationalen
Organisation der damals noch jungen Rundfunkanstalten in Europa erkannt, die
OIR mit Sitz in Brüssel wurde gegründet. Nach Ende des 2. Weltkrieges spalteten
sich als Folge des Kalten Krieges 1946 die westeuropäischen Länder ab und
gründeten die heutige UER (EBU). Die verbleibenden Länder (UdSSR, DDR, CSSR, VR
Polen, VR Bulgarien, VR Ungarn, VR Rumänien, sowie Finnland (YLE) als einziges
Land, das in beiden Gremien vertreten war) gründeten einen osteuropäisch
dominierten Dachverband für Hörfunk und Fernsehen, der den Austausch von
Informationen über Programmproduktion und technische Entwicklung förderte und
den Programmaustausch der Mitglieder untereinander organisierte. Sitz der OIR
war seit 1950 Prag, mit dem Aufkommen der Fernsehtechnik wurde hieraus die OIRT
[WOOD03].
Die OIRT bestand aus der Programmkommission (PK), zuständig
für die Organisation des internationalen Programmaustausches, der Technischen
Kommission (TK), zuständig für Fragen der Standardisierung und Überwachung von
Produktion und Übertragung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen, sowie dem
Technischen Zentrum (TZ) in Prag, das alle erforderlichen Aktivitäten
koordinierte und die entsprechenden Dokumente verwaltete.
Die TK der OIRT unterhielt eine Anzahl von festen
Studiengruppen, sowie bei aktuellen Erfordernissen weitere temporäre
Expertengruppen, darunter
- SG1 (Internationale Kanäle für die Tonübertragung…, Vors.
UdSSR)
- SG2 (Studio- und Elektroakustik, Schallaufzeichnung; Vorsitz DDR, darunter die Vorsitzenden H.
Stier, L. Keibs, G. Steinke 1970-1982; Z. Vajda, Ungar. Rundfunk 1984-1992)
- SG5 (Stereofonie) – Vors. VR Polen – die SG5 war nur einige Jahre während der
Betriebseinführung der Rundfunkstereofonie tätig;
- SG6 (Automatisierung, Rechentechnik und Datenverarbeitung, Vors. UdSSR)
Eine ständige Untergruppe der OIRT SG2 war die sog. Hörgruppenexperten-Gruppe, die
methodische und wissenschaftlich-technische Grundlagen für die subjektive
Beurteilung von Hörereignissen entwickelt hat und in regelmäßigen Abständen
unter Beteiligung von Fachleuten (Tonmeister, Toningenieure,
Entwicklungsingenieure, Musikredakteure) aus den vertretenen
Rundfunk-organisationen praktisch erprobte.
Wesentlicher Output der TK der OIRT waren
neben richtungsweisenden Beschlüssen (z.B. zur Wahl geeigneter
Übertragungsverfahren für die Hörfunk- und Fernsehversorgung) eine große Anzahl
(mehr als 100) von sog. Empfehlungen und Berichten der OIRT, die für die
technische Arbeit in den Mitgliedsorganisationen sowie den gegenseitigen
Programmaustausch normativen Charakter hatten. Alle Dokumente wurden parallel in
den Arbeits-sprachen Russisch und Deutsch veröffentlicht.
An dieser Stelle können nur einige wenige Beispiele genannt
werden. (Der Autor W. Hoeg war an der Entwicklung der genannten Dokumente
maßgeblich beteiligt, i.d.R. in Zusammenarbeit mit weiteren Kollegen des RFZ,
wie G. Steinke, G. Herzog, K. Huhn, E. Steffen, F. Steffen, D. Orth, R. Reichl
u.a.m.):
- OIRT -Empfehlung 55/2: Technische Parameter von
Studio-Abhöreinrichtungen [E55].
Die hier enthaltenen Bedingungen und Parameter wurden zu großen Teilen in die
späteren Recommendations R22 (EBU) sowie BS.1116 (ITU-R) übernommen (s. unten);
- OIRT Empfehlung 59/2: Aussteuerungsmesser für den
internationalen Programmaustausch [E59].
Diese Empfehlung trug wesentlich dazu bei, das früher weit verbreitete VU-Meter
durch eine standardisierte Quasi-Spitzenwert-Anzeige zu ersetzen.
- OIRT Empfehlung E 86/3: OIRT-Bezugs-Abhörräume [E86].
Die Empfehlung regelt Entwurf, Bau und Betrieb hochwertiger Studio-Abhörräume
für Zwei- und Mehrkanalwiedergabe, die wegen des damit erreichbaren hohen
Qualitätsstandards auch gern als
„Bezugs-Abhörraum“ bezeichnet werden. Die hier beschriebenen Bedingungen und
Parameter wurden zu großen Teilen in die späteren Recommendations R22 (EBU)
sowie BS.1116 (ITU-R) einbezogen (s. unten).
- OIRT Empfehlung E 91/2: Subjektive Bewertung der Qualität
von Tonaufzeichnungen [E91].
Die Empfehlung legt geeignete Bewertungsparameter sowie Bewertungsskalen fest
und definiert die methodischen Bedingungen für solche Tests. Die Details zur
E91 finden sich im EBU doc tech 3286. In einem weiteren Standard (OIRT
Empfehlung E 68/1: Methodik zur subjektiven Bewertung der akustischen
Eigenschaften von Rundfunk- und Fernsehstudios mit Publikum, Konzertsälen und Mehrzwecksälen)
werden diese Bedingungen für die Bewertung der akustischen Qualität von Räumen
angepasst.), siehe hierzu auch [23].
In Fällen, wo die erarbeiteten Fakten und Vorschläge noch
nicht für die Formulierung einer Empfehlung ausreichten, wurden die
entsprechenden Ergebnisse in sog. Berichten der TK der OIRT zusammengefasst.
Ein Beispiel hierfür ist
- OIRT-Bericht Nr. 28-II: Über das Verhältnis von Musik und
Sprache bei Rundfunk und Fernsehsendungen [BER1]. Hier wurden bereits 1976 erste
Aussteuerungsrichtlinien vorgeschlagen (Federführung: E. Steffen [STE78]), um die
schon damals erkannten Diskrepanzen im Lautstärkeverhältnis Sprache/Musik zu
minimieren.
Die OIRT hat
nach dem Zerfall des Ostblocks ihre Selbstauflösung und die Eingliederung ihrer
Mitglieder in die Union der
Europäischen Rundfunkorganisationen (UER bzw. EBU) beschlossen. Seit dem 1. 1. 1993
sind die beiden internationalen Verbände unter dem Dach der UER/EBU vereint [WOOD03].
(Fakten zur vormaligen OIRT sind an dieser Stelle deshalb so
ausführlich dargestellt, da man an anderer Stelle unterdessen kaum noch
Detailinformationen über die Arbeit dieser fast ein halbes Jahrhundert aktiven
internationalen Fachorganisation finden kann.)
3. EBU
(European Broadcasting Union; frz. Union Européenne de
Radio-Télévision, UER)
Die EBU ist ein Zusammenschluss von derzeit über 70 Rundfunkanstalten aus mehr als 50 Staaten Europas, Nordafrikas
und Vorderasiens
mit Sitz in Genf.
Sie entstand 1950 durch Aufteilung der damaligen IBO als Folge des Kalten
Krieges. Seit 1993 sind die seinerzeit gebildeten Organisationen OIR(T) und UER
wieder unter dem Dach der EBU vereint, s. oben. Ziel ist der Austausch von
Informationen über die technische Entwicklung, die Produktion und Übertragung
von Programmen und der Programmaustausch der Mitglieder untereinander. Wichtige
Aufgabe ist dabei auch die Standardisierung einheitlicher technischer Verfahren
etc., ggf. in Zusammenarbeit mit anderen Standardisierungsgremien wie ITU-R,
ETSI usw.
Die bereits erwähnte OIRT-Hörgruppen-Expertengruppe wurde
nach Integration der OIRT in die EBU als einzige komplette Arbeitsgruppe in die
Struktur der EBU überführt, wo sie unter Leitung ihres seinerzeitigen
Vorsitzenden W. Hoeg als EBU Taskgroup P/LIST (Listening Tests) sowie danach
als Taskgroup P/MCA (Multichannel Audio) innerhalb der Working Group P (Broadcasting
Production) noch einige Jahre tätig war, u.a. mit Tagungen in Norwegen,
Finnland und Genf. Sie verabschiedete folgende wesentliche Dokumente, die auch
der ITU-R zur Verfügung gestellt wurden:
- EBU
Technical Recommendation R22-1994: Listening conditions for the assessment of
sound programme material; einschl. EBU Doc Tech 3276: Listening conditions for
the assessment of broadcast programmes – two-channel stereophonic, sowie
Supplement 1 to Doc tech 3276: Listening conditions for the subjective
evaluation of broadcast programmes – multichannel. [R22], [Tech3276], [Tech3276/1].
- EBU
Technical Recommendation R90-2000: The subjective evaluation of the quality of
sound programme material, mit EBU doc Tech 3286-1997: Assessment methods for
the subjective evaluation of the quality of sound programme material – Music;
ergänzt durch Supplement 1 to EBU doc Tech 3286: Assessment methods for the
subjective evaluation …. – Multichannel. [R90], [Tech3286], [Tech3286/1].
Eine zusammenfassende Darstellung der Mittel und Methoden
der EBU zur subjektiven Qualitätsbewertung findet sich in [53].
Eine weitere Aufgabe bestand in der Durchführung von internationalen Hörtests zum Vergleich aktueller Mehrkanal-Audiocodecs in
Berlin (1999), gemeinsam mit der EBU Expertengruppe B/CASE, siehe z.B. [BPN019].
Darüber hinaus wurden mehrere Informationsberichte zum damaligen Stand der
Technik auf dem Gebiet von Multichannel Audio erstellt, siehe [BPN021], [BPN041] sowie [56].
4. ITU-R (International
Telecommunication Union – Radiocommunication Sector)
Der Sektor ITU-R innerhalb der Internationalen
Fernmeldeunion ITU ist beauftragt, zu technischen und betrieblichen Fragen der
Funkkommunikation (d.h. Hörrundfunk, Fernsehen und andere kommerzielle
Funkdienste) Studien durchzuführen und Empfehlungen zu erlassen. Die ITU ist
eine internationale Standardisierungsorganisation mit Sitz in Genf, die im
Auftrag der Nachrichtenverwaltungen der Länder (ca. 200 weltweit) agiert, unter
Mitarbeit von entsprechenden Experten der nationalen Verwaltungen,
Forschungseinrichtungen etc.
- BS.468:
Measurement of audio-frequency noise voltage level in sound broadcasting
- BS.644:
Audio quality parameters for the performance of a high-quality sound-programme
transmission chain
- BS.645:
Test signals and metering to be used on international sound –programme
connection
Die seinerzeitige Studiengruppe 10 (Broadcasting) der ITU-R
hatte bereits 1978(?)
mit einer ersten Recommendation [BS.562] den Grundstein für Regelungen zu subjektiven
Qualitätstests gelegt (Initiator: G. Steinke). Im Rahmen der großangelegten
Tests von neuen Audiocodierverfahren (MPEG/Musicam etc.) Anfang der 90er Jahre wurde
die Methodik ausgebaut und 1994 die wichtige Recommendation ITU-R BS.1116 [BS.1116] verabschiedet,
die grundlegende methodische und technische Festlegungen für die subjektive Qualitätsbewertung
von Hörereignissen enthält, insbesondere eine Testmethode für den Hörvergleich
von Testbeispielen mit geringen Unterschieden (Hidden reference), s. auch Kap.xx auf dieser
WebSite. Daneben sind dort erstmalig raumakustische und technische Bedingungen
für hochqualitative Abhör-Räume und -Lautsprecherbeschrieben. W. Hoeg war als
Special Rapportier verantwortlich für diese Teile der Empfehlung, wobei auch
die oben genannten EBU-Dokumente berücksichtigt wurden. Damit existierte ein
Quasi-Weltstandard für die Gestaltung hochwertiger Abhörbedingungen (der sog.
Abhörstandard, s. auch Kap.xxx
auf dieser WebSite), der auch heute noch (fast 25 Jahre nach Veröffentlichung)
internationale Anwendung findet. Im Anschluss wurden weitere Empfehlungen zum
Komplex “Subjektive Qualitätsbewertung“ erarbeitet ([BS.1283], [BS.1284], [BS.1285],
[BS.1286]), die letztere befasst sich mit der Bewertung von Hörereignissen mit
begleitendem Bild.
Im gleichen Zeitraum entstand die legendäre Recommendation ITU-R
BS.775 Multi-channel Stereophonic Sound System with and without Accompanying
Picture [BS.775],
die auch heute weltweit als Basis für die Konfiguration von mehrkanaligen
Tonsystemen gilt.
Die Aufgaben der bisherigen Studiengruppe 10 wurden bei
einer zwischenzeitlichen Reorganisation der ITU in die heutige SG6
(Rundfunkdienste) überführt. Dort werden u.a. alle Fragen von terrestrischen Funkdiensten
sowie ihrer Qualitätsüberwachung (einschl. Fernsehen) bearbeitet.
5. EUREKA (Europäische Forschungsinitiativen der EU)
Neben den beschriebenen Standardisierungsaufgaben erfolgte
über mehrere Jahre im Zeitraum 1990-1999 eine aktive Mitarbeit in verschiedenen
internationalen Forschungsprojekten innerhalb des EUREKA-Programmes, u.a. bei
EUREKA95 (HDTV-Fernsehsystem einschl. mehrkanaliger Tonübertragung) sowie
insbesondere bei EUREKA147 (Digitaler Rundfunk).
EUREKA 147
(DAB)
Das EUREKA147 Consortium hat im Zeitraum 1988 bis 1995 die
Entwicklung für das DAB System vorangetrieben, nicht nur durch strategische
Planung, sondern auch in mehreren international besetzten Working Groups zur
Entwicklung und Erprobung der verschiedenen Komponenten des DAB Systems.
Neben den grundsätzlichen Verfahrensfragen für das digitale
Rundfunksystem DAB wurden unter Mitarbeit und tw. Federführung der Deutschen
Telekom insbesondere folgende Themenkomplexe bearbeitet
- Dynamic Range Control (DRC); Details siehe Kap.xxx dieser Website.
- Tests von digitalen Audiokompressionsverfahren
Die unter EUREKA147 entwickelten und getesteten Lösungen
wurden i.d.R. an die internationale Standardisierungsinstitution ETSI
übergeleitet, wo die entsprechenden weltweit geltenden Standards herausgegeben
wurden. Neben zahlreichen anderen Detail-Standards ist hier auch der
DAB-Systemstandard ETS 300 401 (1997) [ETS] entstanden. Nach der Verabschiedung der
Systemstandards fand 1998 der Zusammenschluss von EUREKA147 und WorldDAB statt.
Das ursprünglich für Europa entwickelte DAB-System findet danach auch in
verschiedenen anderen Ländern und Kontinenten Anwendung und wurde unterdessen
zu DAB+ weiterentwickelt. Weitere Details siehe u.a. in [BUCH8], [BUCH10]
6. VDT (Verband Deutscher Tonmeister),
AES (Audio Engineering Society)
Zwischenzeitlich wurden die wesentlichen Grundlagen-Parameter zum
Bezugs-Abhörstandard auch in entsprechende Dokumente des VDT (SSF1= , SSF2=
) übernommen (Federführung G. Theile, G. Steinke) sowie in ein
entsprechendes Grundlagendokument der AES (AES TD1001 …), was die weltweite
Anerkennung als einheitlichen Abhörstandard unterstreicht.