1. Generationsentwicklung der Tonstudiotechnik
Ausgehend von wesentlichen gerätetechnischen sowie betriebstechnologischen Merkmalen kann man, u. a. in Anlehnung an die in der Rechentechnik gebräuchliche Systematik, gegenwärtig mindestens vier Generationen der Tonstudiotechnik unterscheiden, siehe auch [32] sowie [BUCH8]. Die gilt insbesondere für Tonmischpulte, eine adäquate Entwicklung ist aber auch bei peripheren Geräten und Einrichtungen festzustellen.
Tafel 1 stellt wesentliche Merkmale dieser Technik-Generationen an Beispielen gegenüber.
Tonstudioanlagen der 1.Generation
Die erste Generation der Tonstudiotechnik wird durch die ausschließliche Anwendung der Elektronenröhre als das bestimmende aktive Bauelement gekennzeichnet. Typische Vertreter dieser Technik waren die Gerätesysteme V20, V40, V70 und V200, die etwa im Zeitraum von 1935 bis 1960 entwickelt und in Betrieb gesetzt worden waren. U. a. bedingt durch das verfügbare Bauelemente-Sortiment und den Stand der Schaltungsentwicklung erreichten Masse und Volumen solcher Anlagen beträchtliche Größenordnungen. Die Systeme wurden durchgängig manuell bedient, und es kam ein analoges Übertragungsverfahren für die Tonsignale zur Anwendung.
Die Entwicklung begann in den 30er Jahren mit den Baureihen V 20 und später V 40, bei denen ein Funktionsgerät (z. B. Vorverstärker, Trennverstärker) jeweils einen mehrerer Einheiten hohen 19“-Volleinschub belegte, einschließlich integrierter 220 V-Stromversorgung. Im Ergebnis der Entwicklung der Systeme V 70 bzw. V 200 [LUFT60] konnten bereits deutliche Fortschritte in Bezug auf verbesserte elektrische Qualitätsparameter, größere betriebstechnologische Variabilität auf Grund modularer Bauweise sowie eine Reduzierung des Masse- und Volumenbedarfs auf durchschnittlich 35% bis 50% gegenüber den Vorgängersystemen erzielt werden.
Ein typisches Beispiel für eine der ersten Anlagen für Zweikanalstereofonie, in der Geräte der 1. Generation unterschiedlicher Hersteller kombiniert wurden, war die sog. Stereo- Experimentaleinrichtung des RFZ [3], die für Produktion und Sendung eines großen Teils der ersten Stereo-Aufnahmen und -programme im Funkhaus Berlin-Oberschöneweide konzipiert war und dort über viele Jahre betrieben wurde.
Tonstudioanlagen der 2. Generation
Mit der Entwicklung und praktischen Nutzung der modernen Halbleitertechnik war es möglich, im Zeitraum 1960—1970 in mehreren Innovationsschritten eine leistungsfähige Tonstudiotechnik der zweiten Generation mit deutlich verbesserten elektrischen und technologischen Parametern zu entwickeln und in die Praxis einzuführen. Diese Technikgeneration bestimmte noch bis etwa 1990 den Stand in der internationalen Praxis. Typische Vertreter sind die Gerätesysteme Sitral (Siemens/BRD) bzw. V700 (RFZ/DDR), bestimmende Bauelemente sind diskrete Halbleiter sowie Miniaturrelais für Tonkanal und Steuerungsaufgaben.
Die Tonsignalbearbeitung erfolgt weiterhin auf analogem Wege. Die Anlagen werden manuell bedient und weisen lediglich eingeschränkte diskrete Fernsteuerungsmöglichkeiten für Hilfsfunktionen auf. Infolge des modularen Systemcharakters z. B. der V 700-Technik (etwa 120 verschiedene Einzelmodule für Tonkanal- und Steuerungsaufgaben) waren Tonstudioanlagen für unterschiedlichste betriebstechnologische Anwendungen im mobilen und stationären Einsatz. Die Stromversorgung für Tonkanal- und Steuerungsbaugruppen einer Anlage erfolgte durch separate Netzgeräte mit 24 V Gleichspannung, was u. a. auch die Möglichkeit einer unterbrechungsfreien Stromversorgung mittels Akkumulatorbatterien ermöglichte. Ein Überblick über das Geräte- und Anlagensortiment der 700-Technik ist in [KAH75] dargestellt, typische Beispiele für komplexe Einrichtungen der 700-Technik sind u. a. in [20] beschrieben.
Neben den beschriebenen modularen Anlagensystemen der 2. Generation wurden und werden auf dem internationalen Markt in einer fast unüberschaubaren Typenvielfalt Tonmischpulte in sog. Kompaktmodul-Technik („Streifentechnik“) angeboten, bei denen jeweils ein kompletter Eingangs- oder Summentonkanal in einer konstruktiven Einheit („Kanalstreifen") zusammengefasst ist. Eine spezielle Strukturvariante von Mischpulten für die Vielspur-Aufnahmetechnologie ist die sog. in-line-Kanal-Struktur. Hierbei sind in einem Kanalstreifen zwei (weitgehend) komplette, unabhängige Kanalzüge angeordnet, um in einer übersichtlichen geometrischen Zuordnung der Bedienelemente die auf dem Vielspurmagnettongerät aufzuzeichnenden Signale auszusteuern und gleichzeitig eine zur sofortigen Beurteilung der Gesamtaufnahme geeignete Abhörmischung herstellen zu können. Zu dieser Kategorie gehörte auch das weit verbreitete, modulare Mischpultsystem MP4084 des RFZ [SCHOE83].
Tonstudioanlagen der 3. Generation
Wachsende Anforderungen an Fernsteuerungs- und Automatisierungsmöglichkeiten der Betriebsfunktionen von Tonstudioanlagen führten zunächst zur Anwendung von gleichspannungsgesteuerten VCA-Stellern, was u. a. eine steuerungstechnische Gruppenbildung erlaubt, d. h. die steuerungstechnische Beeinflussung ein und desselben Stellgliedes durch mehrere Bedienelemente (Kanalsteller, Gruppensteiler, Mastersteller). Anlagen dieser Art kann man auch als (2.5) Zwischengeneration einstufen. Die Weiter- entwicklung führte aber bald zur konsequenten Anwendung digitaler Steuerungslösungen — unter Beibehaltung des in vielen Parametern bis an die physikalischen Grenzen verbesserten analogen Tonübertragungsverfahrens. Hieraus resultierte die Bezeichnung „Digital Controlled Analogue Technique" (DCA) für Anlagen der 3. Generation, die durch folgende technische und betriebstechnologische Merkmale gekennzeichnet sind:
- hohe Flexibilität durch software-definierbare Anlagenstrukturen und Geräteeigenschaften;
- Realisierung von rechnergestützten Betriebstechnologien bei weitgehender Beibehaltung des manuellen Zugriffs (Vielspur-Abmischung. Programmabwicklung) sowie von Autodiagnosefunktionen zur automa-tischen Erkennung von Funktionsstörungen und Parameterabweichungen;
- Möglichkeit der konsequenten räumlichen Trennung von Bediengeräten (im Bedienpult angeordnet, reine digitale Steuerungstechnik) und Tonfunktionseinheiten (Gestellbereich);
- Möglichkeit der Anwendung zentralisierter Bedienfunktionen zur Reduzierung der ständig zunehmenden Menge von n-mal wiederkehrenden Kanalbedienelementen unter Nutzung eines rechnergestützten Bildschirmdialoges als Bedienhilfe.
Anwendungskonzeptionen und erste Lösungen für die automatisierte Programmabwicklung sind in [16], [21] und [22] beschrieben. Die Entwicklung eines kompletten Sortimentes einer DCA-Gerätegeneration (S2000) für automatisierte Produktions- und Programmabwicklungs- anlagen ist in [33] dargestellt. Abb. 6-3 zeigt den Prototyp eines S2000- Produktionsmischpultes für die rechnergestützte Mehrkanalaufnahmetechnik, der im Jahr 1990 im RFZ in Berlin-Adlershof fertiggestellt wurde. Infolge der Abwicklung des RFZ nach der Wende wurde die Anlage nicht mehr in die Fertigung übergeleitet und musste verschrottet werden.
Tonstudioanlagen der 4. Generation
Wesentliches innovatives Merkmal der 4. Generation Tontechnik ist der Übergang zur kompletten digitalen Verarbeitung des Tonsignals, wobei die Steuerung der Betriebszustände und die eigentliche Tonsignalverarbeitung praktisch in der gleichen (digitalen) Signalebene softwaretechnisch integriert bzw. miteinander verflochten sind.
Die Tonsignalübertragung mittels PCM hat folgende Vorteile gegenüber der traditionellen Analogtechnik:
- das digitale Signal ist generell regenerierbar, solange die im Übertragungskanal auftretenden Störungen unterhalb eines bestimmten Schwellwertes bleiben
- der Störabstand lässt sich auf nahezu beliebig hohe Werte steigern (praktisch nur begrenzt durch das Auflösungsvermögen der eingesetzten Wandler)
- Verstärkungsänderungen sowie lineare und nichtlineare Verzerrungen von Bauelementen bleiben (weitgehend) ohne Einfluss auf die Qualität des Tonsignals
Die Eingangsseite enthält neben der erforderlichen Anzahl von Analogsignaleingängen (A/D-Wandler) Digitalsignaleingänge unterschiedlicher Schnittstellenformate (z. B. parallele Schnittstellen, serielle Schnittstellen im AES/EBU-Format u. a. mehr). Die eigentliche Tonsignalverarbeitung wird durch schnelle Signalprozessoren in Bit- oder Byte-Slice-Technik realisiert. Die Ausgangsseite weist eine ähnliche Anschlussstruktur wie die Eingangsseite auf. Die Bedienung der Anlage erfolgt über eine Bedienkonsole, die mit den Signalprozessoren lediglich über einen Steuerbus kommuniziert. Je nach Anlagenkonzept und Bedienphilosophie erstreckt sich das Spektrum der Bedienelemente vom traditionellen Flachbahnsteller über zentral zuweisbare Endlosbedienelemente bis zum Trackball (Rollkugel) mit graphischer Bildschirmunterstützung.
In zunehmenden Maße wird auch eine spezielle Form komplexer, integrierter Bearbeitungs- systeme (auch als Audio-Workstation bezeichnet) eingesetzt, die als zentrale Verarbeitungs- einheit einen digitalen Audio-Prozessor enthalten, der über verschiedene Interfaces z. B. mit einer graphischen Bedienstation, einem Tastenmanual (Keyboard) und ggf. anderen peripheren Komponenten verbunden ist. Als Speichermedien stehen Festplattenspeicher (Harddisk), Flash-Memory oder auch optische digitale Speichermedien zur Verfügung.
Weitere Details siehe u. a. [32] sowie [BUCH10]. Eine ausführliche Darstellung der historischen Entwicklung auf dem Gebeit findet sich außerdem in [SMY12].
2. Elektronische Klangerzeugung
Subharmonischer
Klangerzeuger Subharchord®
Akustische Instrumente wie auch die menschliche Stimme
erzeugen Töne, die in der Regel aus einem Grundton bestehen, der von mehreren harmonischen
Obertönen überlagert ist, welche in einem ganzzahligen Verhältnis zur Frequenz
des Grundtones stehen. Anzahl, Phasen- und Amplitudenverteilung dieser Obertöne
bestimmen - neben den Ein- und Ausschwingvorgängen – die Klangfarbe. Herkömmliche elektronische Klangerzeuger arbeiten in der Regel
nach dem gleichen Prinzip.
Im Gegensatz
dazu werden sog. subharmonische Töne durch Frequenzteilung aus dem Grundton
abgeleitet. Dabei werden jeweils mit einem ganzzahligen Frequenzverhältnis (1:2,
1:3, 1:4 usw.) Untertöne gebildet und zu sog. subharmonischen Mixturen (nach O.
Sala) zusammengesetzt. Subharmonische Klangstrukturen weisen einen sehr
eigenen, ungewohnten Klangcharakter auf, der so in der traditionellen
akustischen Welt nicht vorkommt. Sie wurden erstmalig um 1930 von
Friedrich Trautwein mit seinem Mixtur-Trautonium realisiert, das später von
Oskar Sala weiterentwickelt wurde. In den 1960er Jahren entstanden in Berlin
verschiedene Nachbauten und Weiterentwicklungen, darunter das von Ernst
Schreiber im RFZ (Labor für akustisch-musikalische Grenzprobleme, Leiter
Gerhard Steinke) entwickelte Subharchord® [SCHR64]. Hier wurden auch diverse
Klangexperimente und Kompositionen durch namhafte Komponisten realisiert.
Das Subharchord, das aufgrund seiner gemischt analog und
digital aufgebauten Schaltungsstruktur als einer der ersten sog. Hybrid-Synthesizer
gelten kann, ist u.a. durch folgende Eigenschaften und Funktionen
gekennzeichnet:
- die subharmonischen Klangstrukturen sind auf einer
normalen Klaviatur spielbar und damit für jeden Musiker sofort nutzbar;
- eine vom Tastenhub steuerbare Anschlagsdynamik erlaubt
eine individuelle Gestaltung von Laustärkedynamik und Abklingverhalten;
- Effektgeneratoren und –modulatoren (Vibrato,
Chormodulation, Ringmodulator, aleatorische Modulation, Effektfilter) erlauben
eine vielfältige Gestaltung der Mixturklänge;
- eine weitere Besonderheit stellt die ebenfalls über eine
Klaviatur „spielbare“ Mel-Filterbank dar, mit der ein effektvolles
Klangfarbenspiel realisierbar ist.
Von dem im RFZ in den späten 60er Jahren als Kleinserie (6
Expl.) produzierten Mixtur-Instrument Subharchord II (Abb. 6-4) existieren heute nur noch wenige funktionsfähige Geräte. Nach
1990 wurden drei der verstreut (Deutschland, Norwegen, Slowakei) eingesetzten
Geräte mühevoll wieder in Funktion gebracht; sie sind unterdessen in
verschiedenen Museen etc. verteilt. Näheres zu Hintergründen, Funktionalitäten
und Entwicklungsgeschichte des Subharchord siehe [www.rundfunkschaetze] sowie [59].
Elektronisches
Studio Funkhaus Nalepastraße
Ziel der Entwicklungen zur elektronischen Klangerzeugung im
RFZ war es u.a., im damaligen Funkhaus Berlin-Oberschöneweide ein
elektronisches Studio zu errichten, in dem sowohl eigenständige Kompositionen
als auch Begleitmusiken und Geräusche für Hörspiel-, Fernseh- und
Filmproduktionen realisiert werden sollten.
Nach konzeptionellen Vorarbeiten in einem frühen Stadium [Stei64]
hatte seinerzeit W. Hoeg die Aufgabe - gemeinsam mit dem
Projektierungsingenieur Ralph Belitz - den technisch/technologischen Teil der
Planung und Projektierung der anlagentechnischen Ausrüstung rings um das
Subharchord als zentralem Klangerzeuger für das geplante Studio zu betreuen
sowie die Fertigung der einzelnen Anlagenteile zu überwachen. Dazu gehörte
neben diversen Magnetband-Aufzeichnungsgeräten auch ein kleines (ca. 12
Stereo-Kanäle), modular aufgebautes Mischfeld aus Komponenten der
V700-Gerätetechnik. Eine erste Lösung für ein sog. Trickmischfeld auf der Basis
eines relaisgesteuerten Kreuzschienenverteilers, an dem die verschiedenen
Effektgeräte und Filter miteinander verknüpft werden konnten, war ebenfalls
Bestandteil der Anlage. Damit hätten u.a. (neue) Effekte wie Iteration und
Verzögerung, aleatorische Modulation, Rauscheffekte in Verbindung mit einem
ebenfalls integrierten erwähnten Ringmodulator, komfortable Möglichkeiten zur
Verhallung etc. effektiver realisiert werden können. Das als zentraler
Klangerzeuger einzusetzende Subharchord war hierzu u.a. auch mit
studiotypischen Ein- und Ausgängen versehen worden. Dies alles war für die
seinerzeit noch neue Mehrkanaltechnik zweikanalig ausgelegt, einschließlich
komfortabler akustischer und visueller Überwachungsmöglichkeiten, wie
Zweikanal-Aussteuerungsanzeigen und dem ebenfalls im RFZ entwickelten
Stereo-Sichtgerät [BUCH2].
Bild 6-5 sowie [STEI64] zeigen eine frühe Konzeption für eine solche
Anlage, die jedoch im Verlaufe der Planung/Projektierung in vielerlei Hinsicht
weiterentwickelt und ergänzt worden war. (Leider scheint es kein entsprechendes
Blockschaltbild der geplanten Studioausrüstung mehr zu geben.)
Und dann kam die unsägliche Anweisung der Leitung des
Rundfunks sowie des RFZ zum sofortigen Abbruch der Entwicklung/Investition aus
musikpolitischen Gründen, die zur Verschrottung der meisten, weitgehend
fertiggestellten Anlagenbestandteile führte. Damit wurden nicht nur ingenieur-
und fertigungstechnische Leistungen im Wert von ca. 400 T Mark (DDR) durch
eine ideologisch basierte Entscheidung vernichtet, sondern auch das entstandene
künstlerische Potential der Anwendung elektronischer Klangkunst im Rundfunk für
Jahrzehnte blockiert. Detaillierte Informationen siehe auch [www.rundfunkschaetze] unter "Weitere relevante Links".
>> weiter >>